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Nichts gelernt

6. August 2021 - Raimund Brichta in Allgemein | 40 Kommentare

Der englische Notenbankchef Andrew Bailey hat diese Woche ein Beispiel dafür gegeben, dass die Elite der Zentralbanker einen wesentlichen Zusammenhang immer noch nicht verstanden hat:

Die aufgeblähten Bilanzsummen der Notenbanken lassen sich nicht mehr zurückführen, ohne das System in den Abgrund zu stürzen. Yellen und Powell erlitten mit einem solchen Versuch schon 2017/2018 Schiffbruch. (Darüber habe ich hier ausführlich berichtet.) Aber gelernt hat man offensichtlich nichts.

Wie könnte Bailey sonst im CNBC-Interview behaupten, die Bilanzsumme müsse reduziert werden?

 

Es ist schon erstaunlich: Wenn ich als kleines Lichtchen diesen Zusammenhang erkenne, warum erkennen ihn  dann Yellen, Powell, Bailey, Weidmann und Co nicht?

Aber egal, für uns sollte es einen Vorteil sein, dass wir wissen, was unter den Größen der  Finanzszene offenbar niemand versteht. Stay tuned!

40 Kommentare

  1. Ich würde nicht sagen, dass unter den Großen in der Finanzszene niemand versteht, was hier passiert. Sie wissen es sehr wohl, aber solange sie ihre Macht ausüben können und die wichtigen Akteure in der Finanzszene in immer mehr Geld ersaufen, ist es ihnen wurscht. Ihr Schäfchen haben sie längst im Trockenen. Was interessiert sie das Wohlergehen des „kleinen Mannes“? Und wenn das System zusammenkracht, sind sie alle nicht mehr im Amt.

    • Sicherlich sollte man stets auch die Möglichkeit im Auge behalten, dass die leitenden Herrschaften es schon wissen, aber es nicht sagen und uns damit für dumm verkaufen. Ich sehe aber starke Anzeichen dafür, dass es in diesem Fall nicht so ist. Gerade die Erlebnisse 2017/2018 sind dafür ausschlaggebend:

      Warum sollten Yellen und Powell es versucht haben, wenn sie wussten, dass sie damit krachend scheitern? Und warum sollte Yellen sich auch noch die Blöße gegeben haben, öffentlich zu behaupten, die Bilanzsummenreduzierung sei etwa so interessant, wie wenn man Wandfarbe beim Trocknen zusehe? Und warum sollten Leute wie Weidmann und Bailey trotz der Erfahrung ihrer US-Kollegen immer noch darauf bestehen, dass die Bilanzsummen wieder reduziert werden müssen?

      Bei der Wahl zwischen den beiden Möglichkeiten „uns für dumm verkaufen“ oder „selbst dumm sein“ tendiere ich ich in diesem Fall also eindeutig zu Letzterem.

      • Ich denke, das hat weder etwas mit „dumm sein“ noch mit „für dumm verkaufen“ zu tun. Das ist eher so eine Art religiöse Sache. Bestimmte Dinge sind für einen Notenbanker einfach undenkbar.

      • Damit stellen Sie den Zentralbanken ein miserables Zeugnis aus, also Einrichtungen mit vielen Fachleuten. Aber genau das, nämlich eine Zentralbank bar jeglichen ökonomischen Sachverstands, vermag ich mir nicht vorzustellen.

        • „Aber genau das, nämlich eine Zentralbank bar jeglichen ökonomischen Sachverstands, vermag ich mir nicht vorzustellen,“

          Es ist nicht ganz so. Denn die von mir analysierten Zusammenhänge finden Sie so in keiner wissenschaftlichen Arbeit. Wenn Sie so wollen, befinden sich die Zentralbanker damit schlichtweg auf dem aktuellen Stand der Mainstream-Ökonomie.

          • „Denn die von mir analysierten Zusammenhänge finden Sie so in keiner wissenschaftlichen Arbeit.“

            Auch in der Ökonomie gibt es wissenschaftliche Fortschritte. Vielleicht kennst Du den jungen Ökonomen Dr. Ingo Sauer. Er bricht mit alten Vorstellungen des Monetarismus und hat sich in seiner preisgekrönten Doktorarbeit mit der Quantitätsgleichung / Quantitätstheorie, sowie mit Hyperinflationen und Notenbankpleiten beschäftigt. Er hat auch einen eigenen Youtube-Kanal. Wenn ich seine Überzeugungen richtig verstanden habe, hat er in der Anwendung der Quantitätsgleichung / Quantitätstheorie ähnliche Vorbehalte wie Du. Er hält die Quantitätstheorie, so wie sie in den Lehrbüchern dargestellt wird, offenbar für nicht (oder nur sehr eingeschränkt) gültig, außer im Falle einer Hyperinflationen, und dies auch nur über einen Umweg: Erhöhung der Geldmenge durch Aufnahme schlechter Assets in die Notenbankbilanz => Belastung des Wechselkurses => Preisanstieg.

            Ich weiß nicht, ob er Dein Buch kennt. Sofern Du den wissenschaftlichen Diskurs suchst, wäre er vielleicht ein guter Gesprächspartner.

          • Danke für den Hinweis. Ich habe auch schon mal daran gedacht, in meiner späteren Rentenzeit eine Doktorarbeit auf der Grundlage unseres Buchs zu schreiben. Mal sehen, ob was draus wird.

            Was die Quantitätsgleichung anbelangt, so ist die dort vorkommende Umlaufgeschwindigkeit des Geldes eine reine Restgröße, mit der es gelingt, jedwede Kombination von Produktion, Preisniveau und Geldmenge in Einklang zu bringen. Ich hatte an anderer Stelle schon mal geschrieben, dass dieser Gleichung auf jeden Fall ein Pendant für den Kapitalmarkt an die Seite gestellt werden sollte. Denn der Markt für Vermögenswerte bleibt bei der Ur-Gleichung komplett außen vor.

          • Ja. Ich vermute, dass Dr. Sauer Vieles genauso sieht wie Du. Auf die Idee, der Quantitätsgleichung ein Pendant für den Kapitalmarkt zur Seite zu stellen, ist er wohl nicht gekommen – aber ich glaube, die Idee würde ihm gefallen. Er hat nachgewiesen, dass der Preisindex über den Wechselkurs viel stärker mit der Solvenz der Notenbank korreliert als mit der Geldmenge selbst.

            Wer sich für die Thematik interessiert, kommt u. a. in folgendem ausführlichen Interview (Dauer über eine Stunde, Dr. Sauer im Gespräch mit Prof. C. Riek) auf seine Kosten:

            https://www.youtube.com/watch?v=zvut4oK9S80

            Es gibt wohl auch noch eine 15Min-Kurzfassung des Interwies.

          • Noch ein Nachtrag: Indirekt sagt Sauer im Prinzip nichts anderes als dass der Q.-Gleichung „ein Pendant für den Kapitalmarkt an die Seite gestellt werden“ müsste. Das Geld landet in der Spekulationskasse. Ohne das Pendant kann die Umlaufgeschwindigkeit daher nicht als konstant betrachtet werden. Wie Sauer das in seinen Analysen im Detail behandelt hat, weiß ich nicht. Nicht auszuschließen, dass er ebenfalls eine ergänzende zweite Gleichung verwendet hat.

          • Na bitte, da scheinen wir uns ja einig zu sein 🙂

          • Dazu ist mir gerade noch etwas aufgefallen: In einer Vorlesung zur Q.-Theorie (Video auf Youtube) stellt S. tatsächlich zwei Gleichungen bzw. zwei Formen der Q.-Gleichung auf. Die erste umfasst ALLE Transaktionen, insb. auch Finanztransaktionen, die zweite umfasst nur die BIP-wirksamen Transaktionen. Er weist darauf hin, dass die 2. Gleichung häufig falsch gelesen bzw. unreflektiert verwendet wird.

            „Quantitätstheorie“ wird daraus erst durch die Annahmen, dass erstens die Umlaufgeschwindigkeit konstant sei und zweitens es den kausalen Wirkungszusammenhang zwischen der linken und der rechten Seite der Gleichung gäbe. Diese Annahmen stellt er in Frage.

            Im Prinzip handhabt er das also zumindest ähnlich wie Du vorgeschlagen hast.

            Er gibt einen kleinen Überblick über vergangene Phasen, in denen die Q.-Theorie sehr wechselnde Popularität erfuhr.

            Wer sich dafür interessiert, kann sich das Video auf Youtube anschauen: https://www.youtube.com/watch?v=tmsYbU75dRc

            Die Kritik an der Q.-Theorie ist wie die Q.-Gleichung schon uralt. Die EZB schien in der Vergangenheit dem Paradigma der Q.-Theorie verfallen zu sein – vermutlich ist sie es immer noch.

          • Genau! Die Umlaufgeschwindigkeit ist nämlich keine Konstante, sondern eine variable Restgröße, mit der die Gleichung immer aufgeht, zumindest im Nachhinein, wenn BIP, Preise und Geldmenge feststehen. Ich werde mal Kontakt zu Herrn Sauer aufnehmen.

        • Leider ist es aber so – Theorien ohne Ende, aber die Praxis macht halt oft was anderes.

          Gerade wenn sich die Inflation jetzt > 4/5% festsetzen tut, sind die „Superhelden“ ohne Plan. Für mich sind es typische Sozialisten – Planwirtschaftler vom allerfeinsten- sieht man ja auch an der EZB, die jetzt auch Klimaschutz steuern möchte.

      • Zu Deiner Frage, wie Du „als kleines Lichtchen“ einen Zusammenhang erkennst, den Yellen, Powell, Bailey, Weidmann und Co nicht erkennen können:

        Ich fürchte, das ist so eine Art Fluch in den Wirtschaftswissenschaften, dass „kleine Lichtchen“ sich mit neuen Erkenntnissen nur sehr schwer gegen die Mainstream-Elite der Ökonomen durchsetzen können.

        Im Internet findet man die Zusammenfassung der Dissertation von Dr. I. Sauer (veröffentlicht in drei Papers), in deren Vorwort er ähnliche Erfahrungen beschreibt, was letztlich seine Motivation begründete.

        Hieraus ein paar Auszüge, die solche Erfahrungen beschreiben:

        „I was very concerned when the so-called Target (or TARGET2) claims and liabilities in the Eurosystem were brought to light with the first working paper on the topic by Hans-Werner Sinn and Timo Wollmershäuser in June 2011.
        (…)
        „Most economists believe that the concept of solvency is not applicable to central banks and that the assets of the central bank are, therefore, not related to the exchange rate and the price level.
        (…)
        On the contrary, I was convinced that the concept of solvency is very applicable to central banks.
        (…)
        Accordingly, two weeks after the publication of Sinn’s and Wollermershäuser’s working paper, I wrote a 10-page-long letter (via email) to Sinn.
        (…)
        I wanted to convince him that central banks are, first and foremost, banks to which the concept of solvency is applicable and that a stable value of the central banks’ assets (i.e. the backing of the money supply) in the Eurosystem is a necessary requirement for the stability of the currency
        (…)
        I was pleasantly surprised that Sinn, the director of the Ifo Institute at the time, wrote me that I was “completely right” and suggested to publish this backing argument
        (…)
        However, I learned only a year later when Sinn debated with other well-known economists that even Sinn agreed – arguing with the mere quantity of money – that the Bundesbank could lose all of its assets without harming the value of the currency. In his later books, Sinn also accepted and followed the arguments from other “monetarists” who calculated – with the underlying assumption that central banks do not need any assets
        (…)
        This kind of statement, repeated by journalists and widely accepted by the public, were exactly what I had feared when I wrote the letter to Sinn.
        (…)
        I realized that this would be a very difficult task since the vast majority assumes and believes in a general accuracy of the quantity theory …“

        Quelle: https://www.wiwi.uni-frankfurt.de/fileadmin/user_upload/dateien_abteilungen/abt_ewf/LS_Klump/documents/Personal_information/Dissertation_Ingo_Benjamin_Sauer_Summary.pdf

      • Eigentlich erscheint es mir wie ein schlechter Witz, dass die Prozesse, die zur Weltwirtschaftskrise führten, auch über 90 Jahre nach deren Beginn (1929) offenbar immer noch nicht vollständig verstanden werden.

  2. Diese Feststellung ist meiner Meinung nach korrekt,(Warum sollten Yellen und Powell es versucht haben, wenn sie wussten, dass sie damit krachend scheitern?)Aber das Unvermögen des nicht Verstehens ,setzt sich in vielen Bereichen unserer Gesellschaft fort,ohne das ich jetzt ein grosses Fass aufmachen will, man denke alleine an die Politik unserer Zeit.

  3. Raimund, kleines Lichtchen… für uns bist du doch eh der hellste Finanzstern und eigentlich der EZB-Chef… *grins*

    Wenn aber die Notenbanker so denken, dann heißt es doch, wenn sie die Bilanzsumme verringern wollen/müssen/möchten, dass dann zwangsläufig wieder Ungemach droht bzw. kommen wird. Die FED hatte doch nun Erfahrungen gemacht. Sollten sie es deshalb noch einmal ernsthaft wiederholen (wollen)? Ist es nicht vielleicht denkbar, dass sie jetzt schon wissen, dass sie es (zumindest nennenswert) gar nicht können und es nur nicht sagen wollen?

    • Das wäre die These von Ludwig W. Ich als kleines Lichtchen vertrete sie nicht.

      Nach meiner Erwartung werden sie also mit einem neuen Versuch scheitern. Oder es kommt deshalb nicht zu einem neuen Versuch, weil Leute wie Weidmann z.B. in der EZB schlichtweg kein größeres Gehör finden. Dies aber nicht, weil es die Mehrheit im EZB-Rat besser wüsste, sondern weil diese Mehrheit einfach keine Lust darauf haben könntd, auf die Vorteile der EZB-Käufe für ihre Länder zu verzichten.

      • Australiens Notenbank reduziert schon ab September die Anleihenkaeufe.
        Bis Mitte November wird allerdings weiter gekauft.

        • Reduzieren können sie die Käufe, sie können sie auch beenden. Dadurch schrumpft die Bilanzsumme nicht. Knifflig wird‘s erst, WENN sie schrumpft. Das geht nur eine Zeitlang gut, wie das Beispiel USA gezeigt hat.

  4. Na ja. Das Umgekehrte wäre ja auch nicht viel besser. Wenn die Notenbanker das System zu sehr mit frischem Geld fluten, dann laufen die Geldspeicher im System halt schneller voll und der mögliche Reset wird vorverlegt. Sie müssen halt das Mittelmaß finden.

    Aber wer weiß: Vielleicht gibt es ja auch irgendwann irgendetwas Neues, dass dem System neue Zeit verschafft. Gegen Ende der großen Depression war es der Krieg mit Vollbeschäftigung in der Rüstungsindustrie in den USA. Vielleicht ist es zukünftig etwas ganz anderes. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Man stelle sich z. B. vor, es gäbe eine neue Wundermedizin, die unsere Lebenszeit um 200 Jahre verlängerte, die jeder haben wollte, die aber so wahnsinnig teuer wäre, dass wir unglaubliche Summen dafür sparen müssten. Dann könnten die Geldspeicher noch lange volllaufen.

    • @ Sandro

      Es wird mit Sicherheit etwas Neues geben, das nicht alle wie zehn kleine Negerlein ihren Waehrungsschnitt duerchfueheren.
      Wir wissen nur nicht wann und was.
      Deswegen klammern sich so viele an die Vorstellung, dass Geschichte sich wiederholen muss.

  5. Nachtrag zu meinem letzten Post. Ich hatte den Begriff „Große Depression“ falsch verwendet. Ich meinte eigentlich die Weltwirtschaftskrise nach 1929.

    • „falsch verwendet“ ist natürlich wiederum unklar ausgedrückt. Ich meinte jedenfalls nicht den Zeitraum 1873–1896.

  6. Zu unseren Lebzeiten ist leider ein von China zu verantwortender Krieg zu erwarten. Das riesige Land braucht die Rohstoffe im suedchinesischen Meer. Taiwan besetzen sie nebenbei, sobald sie sich auf Augenhoehe mit den USA waehnen.
    Dagegen muesste die ganze Welt zusammen stehen.
    Die USA werden das aber allein loesen (muessen).
    Da werden die Aktienmaerkte weltweit 90 Prozent und noch viel mehr einbrechen,bevor sie wieder steigen
    Die Altersvorsorge von Milliarden Menschen wird vernichtet werden.
    Das sitzt niemand aus, ausser ein paar wenige von den Milliardaeren vielleicht.
    Nebenbei bricht der Euro mittendrin mal eben zusammen,bevor er viele Jahre spaeter wieder neu gegruendet wird,unter anderer Beteiligung, abweichenden Bedingungen und natuerlich unter anderem Namen.
    So oder aehnlich wird der Film sein, den wir alle sehen werden.

    • Nostradamus lebt ….

    • Oder der Großteil der Menschheit ist bis dahin auf den Mars geflohen. Dann kann China sich nehmen, was es will, und die Mensch-Marsianer bezahlen in Marscoins, die von Elon Musk persönlich ausgegeben werden. Ob der Euro vor die Hunde geht, interessiert dann niemanden mehr… 🙂

  7. Richten wir unsere Blich mal in die allernächste Zukunft.

    Die Geldspritzen der Notenbanken funktionieren ja. Die Wirtschaft läuft. Krisen können mit Geld bewältigt werden.

    Allerdings – ich merke es aus eigener Erfahrung: Der Personalmangel und die Materialengpässe mit explodierenden Preisen sind erheblich. Dadurch bleibt die Wirtschaft deutlich unter ihrem Potenzialwachstum. Die Handelskriege am Rande helfen da auch nicht gerade weiter. Auch der Strukturwandel wird verlangsamt.

    Im Alltag heißt das: Autos werden erst nach vielen Monaten ausgeliefert. Handwerker vertrösten einen auf das nächste Jahr. Zu Preisen können sie keine Aussagen machen. Auf eine Wallbox muss man Monate warten. Wenn sie da ist, kommt kein Elektriker. Der digitale Wandel der Büros und Einrichtungen bleibt in der Planungsphase stecken, falls er so weit überhaupt kommt. Mein Vetter findet keine Facharbeiter, um seine Aufträge abzuarbeiten. Geld für das alles wäre ja da …

    Ich vermute, dass diese Probleme in vielen Ländern die Wirtschaft behindern. Ich vermute auch, dass es dafür so schnell keine Lösung geben wird. Das alles könnte die Börsen beeinflussen. Es könnte auch einfach zu einer so großen unbefriedigten Nachfrage führen, dass die Notenbanken bremsen müssen.

    • „Allerdings – ich merke es aus eigener Erfahrung: Der Personalmangel und die Materialengpässe mit explodierenden Preisen sind erheblich. Dadurch bleibt die Wirtschaft deutlich unter ihrem Potenzialwachstum. Die“

      Die Frage ist doch, wo wäre die Wirtschaft ohne die Geldspritzen? Dann gäbe es dieses „Potentialwachstum“ vermutlich gar nicht. Die Geldspritzen, die erstmals seit Jahrzehnten fast direkt auch in die reale Wirtschaft gelenkt werden, führen doch erst zu diesen Knappheiten. Ohne sie befänden wir uns – optimistisch betrachtet – vermutlich gerade erst auf dem Weg aus einer tiefen Weltwirtschaftskrise.

    • „Handelskriege am Rande helfen da auch nicht gerade weiter.“

      Vielleicht gehören solche zunehmenden Handelskriege auch zu den ersten Anzeichen eines langfristigen Zusteuerns auf eine große Krise in fernerer Zukunft.

      Damals nach 1929 hat der Protektionismus erheblich dazu beigetragen, dass es so schlimm wurde, heißt es. Er ist ggf. ein Symptom und hat ggf. die Entwicklung hin zur Krise noch beschleunigt. Protektionismus ist keine Lösung.

      Man könnte z. B. durchaus einmal fragen: Warum bekommen die USA ihr Handelsdefizit einfach nicht in den Griff? Auch das hat vielleicht mehr mit Geldsystem zu tun als mit anderen genannten Gründen.

  8. Gucken wir in die Geschichte: Es sind schon andere Reiche untergegangen, zum Beispiel Westrom. Die Währung hielt dennoch 70 Jahre. Wer von uns würde den schon einen Untergang sehen? Ich zum Beispiel sehe eine Eroberung von Afghanistan durch die Taliban. Das will zur Zeit niemand glauben. Darum schieben wir ab. Aber warum sollte der Westen nicht das neue Westrom sein? Ich meine, wir könnten noch ganz andere Sachen nicht schnallen. Unser aktueller Nachwuchs dürfte den Titel Weicheigeneration bekommen. Ich meine in Westrom hat man auch 30 Jahre vor dem Untergang den Angriff auf Nordafrika geplant. Niemand sieht den eigenen Untergang kommen. China ist nicht wie wir, könnte aber gegen uns gewinnen. Unsere Arroganz ist, dass wir das nicht glauben. Auch Westrom fiel gegen Barbaren. Vielleicht sind wir schon dekadent???? Ich meine, woran würden wir es merken?

    • Hallo Marco,

      ich finde es falsch, China mit barbarischen Eroberern zu vergleichen.
      Das ist in vielerlei Hinsicht falsch.

      1. Die Chinesen habe eine ältere Kultur als wie Deutschen. Sie ist sogar älter als die der Römer. Und es war und ist eine echte Kultur mit großen zivilisatorischen Errungenschaften.

      2. Aus der Perspektive Chinas sind sie selber in der Gefahr, erobert zu werden und haben das im 19. und 20. Jahrhundert mehrfach erlebt. Die Engländer haben China zum Beispiel als Absatzmarkt für ihre Opiumverkäufe entwickelt. Damit haben sie das chinesische Volk innerlich ruiniert. Die Amerikaner haben unter Trump einen erratischen Handelskrieg begonnen, der China durch den Boykott strategisch wichtiger Waren empfindlich getroffen hat. Was die Chinesen heute tun, haben sie von Engländern und Amerikanern gelernt.

      3. Die neue Seidenstraße tut nichts, was der Westen nicht schon längst getan haben könnte. Warum sind es nicht Europa und die USA, die in Afrika Straßen und Häfen bauen und dort die Wirtschaft entwickeln? Sie würden den Menschen dort helfen und könnten dort ihre Geschäfte machen.

      4. Wir müssen lernen, China besser zu verstehen. Was auf uns wie Eroberung wirkt, ist vielleicht anders gemeint. Historisch ist das chinesische Reich jedenfalls nicht durch Eroberungen aufgefallen. Das war die westliche freie Welt, die den Rest der Welt unterwerfen und ausbeuten wollte. Ich will die Chinesen nicht verharmlosen, sehe sie aber auch nicht als erdrückende Gefahr.
      Die „gelbe Gefahr“ ist ein westliches Konstrukt, bei dem der Westen unterstellt, dass China so ist wie er selber.

      5. Ich persönlich bin überzeugt, dass es ein anderes Modell für das Zusammenleben mit China gibt. Unsere Welt hat durchaus Platz für mindestens zwei Systeme, die in friedlichem regelbasierten Wettbewerb miteinander leben können.

      Literaturempfehlung aus dem Handelsblatt:
      Stefan Baron und Guangyan Yin-Baron: „Die Chinesen, Psychogramm einer Weltmacht“, 2018.5

    • „Die Währung hielt dennoch 70 Jahre.“

      Mag ja sein. Aber besonders gut funktioniert hat das wohl auch nicht.

      Wenn niemand etwas gegen 70 Jahre Dauerdeflation hat (oder es schlicht keine Alternative gäbe), könnte der Euro das auch schaffen.

  9. Ich habe mir gerade mal ein aktuelles Interview von Hans-Werner Sinn angehört, zum Thema „Euro und Inflation und der große Sündenfall“ angeschaut, vom 28. Juli 2021.

    Sinn scheint auch kein Fan der Quantitätstheorie zu sein – zumindest nicht mehr. Er spricht ebenfalls von Geldhortung und sagt, dass sich die Geldmenge relativ zum Wirtschaftswachstum seit 2008 versechsfacht habe, ohne dass die Preise entsprechend gestiegen seien. Was ihn derzeit umtreibt, ist allerdings die Sorge um eine unkontrollierbare Inflation, wenn sich die Geldhorte auflösen sollten. Deshalb spricht er sich für eine restriktivere Geldpolitik aus, „so dass ökonomische Knappheiten wieder sichtbar werden und der Zins auch wieder seine Funktion als Lenkungsinstrument für die Investitionen bekommt“. „Wenn die Zinsen Null bleiben gibt es irgendwann den Mega-Gau – das geht ja nicht … das ist weitgehender Konsens unter allen Beteiligten, man muss den weg zurückfinden zu einer normalen Zinspolitik“, sagt er. Vielleicht ist es dieselbe Sorge, die Notenbanker wie Baily ebenfalls umtreibt.

    Hier der Link um Interview (Gesamtlänge 21 Min, interessant wird es ab ca. Minute 13:00).

    https://www.hanswernersinn.de/de/video-sinn-redet-klartext-euro-inflation-focus-28072021

    Youtube-Link: https://www.youtube.com/watch?v=GqPLW4ECb3E

    • Hierzu auch der folgende Artikel von Sinn: https://www.hanswernersinn.de/de/fallstricke-neue-geldpolitik-wiwo-16072021

      Sinn sagt: „Vom Beginn der Finanzkrise Mitte 2008 bis Mitte 2021, also in nur 13 Jahren, ist die Zentralbankgeldmenge im Euroraum von knapp 900 Milliarden Euro auf knapp 5,8 Billionen Euro gestiegen. Sie hat sich also mehr als versechsfacht. Zieht man den wachsenden Geldbedarf aufgrund eines geringfügigen nominalen Zuwachses der Wirtschaftsleistung der Eurozone ab, der durch den Beitritt der baltischen Staaten, ein bisschen reales Wachstum und ein bisschen Inflation zustande kam, so beträgt der Geldüberhang heute 4,7 Billionen Euro. Das deutet auf erhebliche Inflations- gefahren hin, die die EZB eigentlich in den Blick nehmen und durch eine Rücknahme der Geldmenge verhindern müsste (…) Meine Prognose ist aber, dass die EZB das nicht tun wird. Sie müsste dazu nämlich den Kauf von Staatspapieren und Papieren staatlicher Einrichtungen im Umfang von 3,5 Billionen Euro rückabwickeln oder selbst verzinsliche Spareinlagen zu einem Zins anbieten, der über dem Zins der erworbenen Staatspapiere liegt. Ersteres würde manche Staaten in Schwierigkeiten bringen, die mit höheren Zinsen nicht zurecht kommen. Es würde viele Banken straucheln lassen, die hohe Abschreibungsverluste auf ähnliche Papiere verbuchen müssten (…) die EZB würde Geld billiger verleihen, als sie es selbst aufnimmt.“

    • „Was ihn derzeit umtreibt, ist allerdings die Sorge um eine unkontrollierbare Inflation, wenn sich die Geldhorte auflösen sollten.“

      Frage: Wie sollen sich „die Geldhorte auflösen“? Das Geld liegt ja nicht unterm Kopfkissen, wo es darauf warten würde, ausgegeben zu werden. Nach meiner Analyse läuft es zum Großteil an dem Finanzmärkten um, wird also durchaus ausgegeben, nur eben nicht für BIP-relevante Transaktionen. Solange also die Finanzmärkte ausreichend Geld binden, entsteht daraus kein großer Preisdruck in der Realwirtschaft.

      Im Unterschied zur Nach-Finanzkrisenzeit floss allerdings von den Coronahilfen seit 2020 ein beachtlicher Teil NICHT in die Finanzmärkte, sondern direkt in die Realwirtschaft. Dieser Teil ist selbstverständlich Preiswirksam, wie die aktuellen Inflationszahlen zeigen.

      Nun wird es spannend zu beobachten, ob von diesem Geld im Lauf der Zeit ein Teil in die Finanzmärkte abfließen kann, um aus der Realwirtschaft Inflationsdruck herauszunehmen. Dies wäre dann der Fall, wenn das Geld zunehmend in Hände von Leuten käme, die es nicht wieder für Käufe von Gütern und Dienstleistungen brauchen, sondern anlegen wollen.

      „Deshalb spricht er sich für eine restriktivere Geldpolitik aus, …“

      Das ist wiederum die übliche Empfehlung von Mainstream-Ökonomen. Sinn sieht offenbar auch nicht, dass dies im gegenwärtigen Stadium des Geldsystems nicht möglich ist (zumindest nicht deutlich restriktiv), ohne selbst den GAU zu provozieren. Der GAU dürfte also erst in der von ihm beschriebenen zweiten Variante kommen.

      • „Frage: Wie sollen sich „die Geldhorte auflösen“? Das Geld liegt ja nicht unterm Kopfkissen, wo es darauf warten würde, ausgegeben zu werden. Nach meiner Analyse läuft es zum Großteil an dem Finanzmärkten um, wird also durchaus ausgegeben, nur eben nicht für BIP-relevante Transaktionen.“

        Sinn hat offenbar andere Vorstellungen von den Geldhorten als Du. Zitat aus dem Interview: „Die Leute horten es in ihrem Portemonnaie, im Tresor, aber vor allem horten es die Banken auf ihren Konten, die sie haben bei den jeweiligen Notenbanken“. Die Inflationsgefahr begründet er u. a. damit, dass die Banken mit diesem gehorteten Zentralbankgeld aus verschiedenen Gründen neue Kredite schaffen könnten, die dann verstärkt Inflation auslösen könnten. Sinn verweist dabei auf den „Kreditschöpfungsmulitplikator“, so dass mit diesem (herumliegenden) Überhang an Zentralbankguthaben der Banken ein Vielfaches an „Giralgeld“ bzw. „Kredit der Banken“ geschöpft werden könne.

        Ich will Herrn Sinn nun nichts Falsches in den Mund legen, aber vermutlich meint er mit „Kreditschöpfungsmulitplikator“ das Modell des „Geldschöpfungsmultiplikators“, welches sich offenbar in Lehrbüchern der VWL findet und zu erklären versucht, wie aus der Geldbasis (Zentralbankgeld) eine vielfache Menge an Geschäftsbankengeld entstehen kann, mit einem entsprechenden Multiplikator. M. E. ist dieses Modell aus mehreren Gründen falsch, taugt daher nicht viel als Erklärung und ist für Berechnungen wenig geeignet. Ein Fehler des Modells besteht m. E. bereits in der Grundvorstellung, dass demnach Banken neue Kredite vergeben (Geld schöpfen), indem sie – abgesehen von der Mindestreserve – Geld der Einlagen „weiterverleihen“, was dann abzüglich der Mindestreserve immer wieder weiter „verliehen“ werden könne. Auch Wikipedia weiß, dass das Modell nicht korrekt ist, hier nachzulesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Geldsch%C3%B6pfungsmultiplikator .

        • „Die Leute horten es in ihrem Portemonnaie, im Tresor, aber vor allem horten es die Banken auf ihren Konten, die sie haben bei den jeweiligen Notenbanken“.

          Genau dies ist ja die verengte Sichtweise, die sich auf die herkömmliche Quantitätsgleichung beschränkt. Jegliche Verringerung der Umlaufgeschwindigkeit wird darauf zurückgeführt, dass die Leute irgendwo Geld horten. Damit betrachten sie aber nur einen Teil dessen, was tatsächlich passiert. Das Geld kann auch schlicht für Transaktionen verwendet werden, die nicht in die BIP-Berechnung einfließen. Damit liegt es nirgendwo herum, die Umlaufgeschwindigkeit verringert sich dadurch aber auch. Deshalb plädiere ich dafür, den Blick auf diesen Sachverhalt zu weiten.

          Im Übrigen werden auch Kredite dafür verwendet, nicht BIP-wirksame Transaktionen zu finanzieren, etwa den Kauf von Vermögenswerten.

          Und noch etwas zum Halbsatz: „… vor allem horten es die Banken auf ihren Konten, die sie haben bei den jeweiligen Notenbanken.“ Das ist eine Zwangshortung, die gar nicht aufgehoben werden kann. Das von der Notenbank ins Bankensystem gepumpte Geld muss dort verbleiben. Die Banken können zwar versuchen, das Geld wie heiße Kartoffeln untereinander weiter zu reichen, um etwa Strafzinsen zu reduzieren, loswerden können sie es aber nicht. Letzteres geschähe nur, wenn die Notenbanken das Geld wieder einsammeln würden, indem sie ihre Bilanzsummen reduzieren.

  10. Der „Heiße-Kartoffel-Vergleich“ gefällt mir. 🙂 Dass die „Zwangshortung“ nicht aufgehoben werden kann, scheint ja auch Sinn so zu sehen (er meint ja sogar, dass durch Verwendung des Zentralbankgeldüberhangs noch viel zusätzliches Giralgeld geschöpft werden könne, was die Inflation deutlich verstärken könne).

    Die Argumentation von Sinn verwirrte mich insb. aber auch aus folgendem Grund: Wie könnte es überhaupt dazu kommen, dass die Geschäftsbanken über solch riesige Mengen an „ungenutztem“ Zentralbankguthaben verfügen? Sie bekommen es von der Zentralbank ja nicht zwangsgeschenkt. Wenn sie über diesen gewaltigen Guthabenüberhang verfügen, dann doch nur deshalb, weil sie das Zentralbankgeld in der Vergangenheit freiwillig nachgefragt haben oder z. B. durch Einnahmen aus dem (freiwilligen) Weiterverkauf von Anleihen in den Besitz zusätzlichen Zentralbankgelds gelangt sind. Bei negativem Leitzins („Strafzinsen“) hätten sie das aber doch niemals freiwillig getan, wenn sie das Zentralbankgeld nicht gebraucht hätten. Oder mache ich hier einen Denkfehler? Eine Schlussfolgerung wäre dann: Sie brauchen diesen vermeintlichen Zentralbankgeldüberhang tatsächlich. Und zwar zur Durchführung von Finanzmarkttransaktionen. Es müsste dann also so sein, wie Du sagst: Das Geld ist keineswegs ungenutzt. Das Geld wird für Transaktionen verwendet, „die nicht in die BIP-Berechnung einfließen“.

    • Es ist ja so, dass nicht nur Banken Staatsanleihen an die Zentralbank verkaufen, sondern vor allem Bank-Kunden. In diesem Fall landet das Geld schon unfreiwillig auf den Konten der Banken bei der Zentralbank. Und sie werden es nicht wieder los.

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