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Notenbanken: Totengräber oder Lebensretter?

7. November 2019 - Raimund Brichta in Allgemein | 18 Kommentare

In Berlin hatte ich kürzlich eine interessante Diskussion mit Daniel Bernecker. Das ist der Bruder von Jens Bernecker, mit dem ich einen gemeinsamen Podcast mache. Daniel ist wie Jens Herausgeber eines Börsenbriefs. Dieser heißt „Das Actien-Blatt“, und er ist mir unter anderem dadurch positiv aufgefallen, dass er sich intensiv mit den Aktionen der Notenbanken beschäftigt.

Welche Bedeutung ich persönlich den Notenbanken beimesse, ist bekannt. Und zwar nicht nur für das Geschehen an der Börse, sondern auch für die Frage, wie lange der sich abzeichnende Zusammenbruch des Geldsystems aufgeschoben werden kann.

Hieraus ergab sich auch der Ansatz für unsere Diskussion. Sie nahm einen derart interessanten Verlauf, dass ich Daniel Bernecker danach vorschlug, sie in Form eines ‚offenen Interviews‘ hier nachzuzeichnen und fortzusetzen.

Gesagt, getan: Wir werden unsere Diskussion also hier beginnen und dann mit offenem Ende in der Kommentarfunktion so lange fortsetzen, bis alles gesagt ist oder bis wir keine Lust mehr zum Weiterdiskutieren haben. Ein Experiment, dass ich so noch nirgendwo gesehen habe – ähnlich wie ein Tennisspiel.

Der erste Aufschlag kommt von Daniel Bernecker mit folgender Passage im Actien-Blatt:

„Die Notenbanken begehen einen fatalen und auch historischen Fehler, wenn sie ihre Stützungsprogramme wieder aufnehmen oder sogar ausweiten. Sie unterwerfen sich damit komplett den Forderungen des Kapitalmarktes, der seine Abhängigkeit vom billigen Geld nicht überwinden kann. Die Rezessionsängste sollen die nächsten Geldspritzen rechtfertigen. Die Lage heute ist aber mit der von 2009 nicht vergleichbar. Die Wirkung der Programme wird deswegen zu Fehlentwicklungen führen, die nur schwer zu korrigieren sind.“

Raimund Brichta:
Herr Bernecker, ich will versuchen, Ihren Blick auf die Notenbanken mit einem Hinweis auf den Zustand unseres Geldsystems etwas zu weiten: Der Bestand an Geldvermögen und Schulden hat nach seinem stetigen Wachstum der vergangenen Jahrzehnte ein Ausmaß erreicht, das nur noch mit Hilfe der Notenbanken aufrecht erhalten werden kann. Das heißt: Ohne die Geldspritzen würde das Gebäude im Rahmen einer heftigen monetären Krise zusammenstürzen.

Danach wäre das System zwar bereinigt und könnte aufs neue wachsen. Die Frage ist aber, ob man den Zusammenbruch jetzt zulässt oder ihn auf später vertagt. Die Geldspritzen stellen somit nur eine lebensverlängernde Maßnahme dar. Sie haben selbstverständlich – wie jede Spritze – auch negative Nebenwirkungen. Wäre Ihnen der Finanzcrash jetzt also lieber als später?

 

Daniel Bernecker:
Ich kann ihrer Logik nicht ganz folgen. Zunächst gilt es einen Finanzcrash zu vermeiden. Er ist auch gar nicht zwingend oder gar nötig, um das Finanzsystem wiederherzustellen. Wenn Sie der Meinung sind, dass der seit 2009 eingeschlagene Kurs der Notenbanken systematisch richtig ist, dann würde eine Fortsetzung dieser Politik den Finanzmarkt weiter stabilisieren und sogar stärken. Dann plädieren Sie für einen völligen Paradigmenwechsel in der Geldpolitik, wie er auch von mehreren Seiten gefordert wird. Wird diese Geldpolitik um die unbegrenzte Ausweitung der Fiskalpolitik ergänzt, wie es ebenfalls heute von mehreren Seiten gefordert wird, dann schließt sich der Kreislauf. Diese Überzeug wird heute in der New Monetary Theory zusammengefasst und auch begründet. Eine solche Politik aber zu befürworten, nur um einen aus ihrer Sicht unvermeidlichen Finanzcrash hinauszuschieben, untergräbt die ganze Logik und Glaubwürdigkeit dieses Ansatzes.

Ich erteile dieser „neuen Geldpolitik“ eine Absage, weil sie die ganze Logik bzw. Mechanik eines Kapitalmarktes aussetzt und durch kein selbsttragendes Konstrukt ersetzt. Geldschöpfung, die durch die privaten Banken wie bisher entsteht, erfolgt über die Vergabe von Krediten. Daraus entsteht eine Schuld, die auch bedient und getilgt werden muss. Schuldner, die diese Tilgung nicht leisten, tragen die bekannten Konsequenzen und werden zunehmend vom Kapitalmarkt ausgegrenzt. Darin liegt der disziplinierende Effekt der Geldschöpfung inkl. der Mechanik um die Kapitalkosten gemäß Bonität und Laufzeit festzusetzen. Eine Geldschöpfung der Notenbank folgt diesem Prinzip nicht, denn das neue Geld kauft Wertpapiere oder andere Assets vom Markt, ohne dass daraus eine Schuld entsteht. Es ist jeweils eine einmalige Transaktion, die dem Verkäufer Liquidität zukommen lässt, die dann anderweitig eingesetzt werden kann. Verpflichtet sich die Notenbank eine Asset-Klasse aus diesem Grund zu kaufen, findet auch keine Preisbildung mehr statt bei der die Bonität oder Laufzeit berücksichtigt wird. Ziel des Verkäufers ist es eigentlich nur den höchst möglichen Preis zu erzielen. Deswegen werden heute z.B. italienische oder griechische Anleihen zu Kursen verkauft, die ohne den Eintritt der EZB im Markt nicht zu erzielen wäre. De facto findet gar keine Preisfindung im Markt mehr statt. Das hält zwar den Anleihemarkt liquide, hat aber darüber hinaus weitreichende Konsequenzen. Aus den Kursen und Renditen der Anleihen leiten sich über verschiedene Wege die Kapitalkosten für eine Volkswirtschaft insgesamt ab und werden die Reserven von Banken, Versicherungen, Pensionskassen etc. angelegt. Eine Preisfindung, die Bonität gemäß Laufzeit spiegelt, findet nicht mehr statt. Kurse, die nicht mehr das Risiko eines Zahlungsausfalls berücksichtigen, stellen dann in den Bilanzen ein erhebliches Risiko dar, insbesondere in dem heute geltenden Regelwerk „mark-to market“. Darüber hinaus:

Staatshaushalte werden immer über die Kapitalmärkte bzw. Anleihen finanziert oder refinanziert. Die kritische Haltung des Marktes gegenüber der jeweiligen Regierung stellen eine entscheidende korrigierende Funktion für die Staaten dar. Ähnlich wie eine freie Presse oder eine unabhängige Justiz. Sie sind alle Teil des „Checks-and-Balance“ Systems, auf dem jede freie, demokratische Marktwirtschaft funktioniert. Entfällt dieses disziplinierende Element der Finanzmärkte, weil die Notenbank Geld schöpft, um dieses zu ersetzen, wird die Regierung Verpflichtungen eingehen, die sie gar nicht bedienen kann. Das war der Fall in Griechenland oder jüngst in Argentinien. Für Regierungen ist diese Unabhängigkeit von den Finanzmärkten genauso verlockend wie eine zensierte Presse. Dieser Verlockung sind nun einige erlegen und begründen das mit dem Primat der Politik. Für autoritäre Staaten ist das üblich, für demokratische, kapitalistische dagegen gänzlich unüblich. Wer dem Weg folgt, betreibt eine klassische Weichwährungs-Politik, wie sie in vielen südlichen europäischen Staaten über Jahrzehnte praktiziert wurde. Die Folge waren höhere Zinsen und eine abwertende Währung. Ein Kapitalmarkt ist nur dann effizient, wenn Kapital so rar ist, dass die Marktteilnehmer permanent bemüht sind es zu schützen und nicht in Fehlspekulationen zu vernichten. Die neg. Erfahrung des Verlusts ist dabei genauso wichtig wie die positive des Gewinns. Die Notenbanken hebeln diese Kausalität aus. Selbst wenn eine Notenbank den Markt zeitweise ersetzen kann, darf sie es deswegen nicht. Darum geht es in der jetzigen Debatte.

Die Entscheidung über den Erfolg und die Wirkung der Geldpolitik fällt immer der Anleihen- und Devisenmarkt und nicht die Regierung. Wenn der lockere Kurs der Notenbanken für richtig gefunden wird, bleiben die Zinsen niedrig oder fallen. Das war bislang der Fall. Der nun öffentliche Streit um die Geldpolitik bleibt dem Markt nicht verborgen. Er wird sich fragen, ob denn die Zusage der Notenbanken wirklich über die nächsten Jahre gelten? Zweifelt er diese Annahmen an, wird Kapital von langlaufenden Anleihen in kurzlaufende umgeschichtet und die Zinskurve wird steiler. Dann erreicht die Notenbank genau das Gegenteil von dem, was sie wollte. Dieser Prozess steht nun bevor. Darauf zielen auch die Vertreter der Hartwährungspolitik. Sie müssen nicht die Politik oder Öffentlichkeit überzeugen, sondern nur die bisherigen Annahmen der Anleihemärkte untergraben. Der Rest erledigt sich dann von selbst. Wie schnell das geht, konnte man in der Finanzkrise sehen. Dann wird sich zeigen, ob die Kaufprogramme der Notenbanken ausreichen, um den Markt zu beruhigen. Das klappte unter den Umständen 2012 einmal. Da war aber auch ein breiterer Konsens vorhanden der nun fehlt.

Die Notenbanken wissen dies alles und wollten deswegen auch die Programme auslaufen lassen. Für Regierungen und weite der Teile der Finanzdienstleistungsindustrie ist das natürlich problematisch. Sie haben sich an die neue Geldpolitik gewöhnt und sich nach 10 Jahren vollkommen darauf eingestellt. Deswegen versuchen sie diese Geldpolitik zu zementieren. Gelingt das nicht, gibt es eine Anpassung von Asset-Preisen aller Art, weil die marktüblichen Kapitalkosten wieder einrechnet werden. Das gilt für Anleihen wie auch für Aktien. Das kann, muss aber nicht zu einem Crash führen. Die Angst dafür, darf aber nicht die entscheidende Größe sein. Um ihre Frage also zu beantworten. Wenn ein Crash, dann bitte morgen und nicht erst in 10 Jahren.

Raimund Brichta:

Sie schreiben:
„ ich kann ihrer Logik nicht ganz folgen.“
Dann werde ich versuchen, diese Logik für Sie sichtbarer zu machen.

Sie schreiben:
„Wenn Sie der Meinung sind, dass der seit 2009 eingeschlagene Kurs der Notenbanken systematisch richtig ist, dann würde eine Fortsetzung dieser Politik den Finanzmarkt weiter stabilisieren und sogar stärken.“

Dies ist ein Missverständnis: Ich rede betont nicht von „richtig“ oder „falsch“, sondern davon, dass dieser Kurs erwartbar und folgerichtig war, sofern man die von mir genannten Faktoren und die damit zusammenhängende Zwänge berücksichtigt. Anders als Sie, der offenbar zwischen richtig und falsch unterscheidet, bin ich lediglich ein neutraler Beobachter, der analysiert, wie sich das System unter den gegebenen Voraussetzungen entwickeln wird. Bis jetzt hat es sich so entwickelt, wie von mir erwartet.

Weiter schreiben Sie:
„Dann plädieren Sie für einen völligen Paradigmenwechseln der Geldpolitik, wie er auch von mehreren Seiten gefordert wird. Wird diese Geldpolitik um die unbegrenzte Ausweitung der Fiskalpolitik ergänzt, wie es ebenfalls heute von mehreren Seiten gefordert wird, dann schließt sich der Kreislauf. Diese Überzeug wird heute in der New Monetary Theory zusammengefasst und auch begründet. Eine solche Politik aber zu befürworten, nur um einen aus ihrer Sicht unvermeidlichen Finanzcrash hinauszuschieben, untergräbt die ganze Logik und Glaubwürdigkeit dieses Ansatzes.“

Auch hier gilt: Ich „befürworte“ nicht und „plädiere“ nicht für etwas, sondern ich analysiere wertneutral das System und prognostiziere daraus lediglich die voraussichtliche Entwicklung. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die geld- und finanzpolitischen Entscheidungsträger ihre Maßnahmen in der Öffentlichkeit mit einem wissenschaftlichen Theoriegebäude unterfüttern müssen, um ihr Handeln zu rechtfertigen. Für mich war es deshalb kein Zufall, dass gerade in den letzten Jahren die von Ihnen genannte Modern Monetary Theory (MMT) wieder ins Blickfeld geschoben wurde. Details dieser Theorie sind für unsere Diskussion nicht wichtig. Wichtig ist, dass die MMT hauptsächlich dem Zweck dient, all die Maßnahmen zu rechtfertigen, die voraussichtlich in den nächsten Jahren noch getroffen werden.

Und sollten zur Vorbereitung künftiger Maßnahmen weitergehende Theorien erforderlich sein, werden auch diese rechtzeitig in den Blickpunkt gerückt werden. In der Regel braucht man dazu nur in das Arsenal vorhandener Theorien zu greifen, um daraus die passende hervorzuholen. Auch die Ursprünge der MMT sind ja schon 100 Jahre alt. Vielleicht wird es irgendwann einmal die “Schwundgeldtheorie“ von Silvio Gesell sein? Vielleicht aber auch eine andere.

Nur eines werden wir wahrscheinlich niemals erleben: Dass die Theorien oder die aus ihnen abgeleiteten Maßnahmen offiziell damit begründet werden, sie dienten dem Aufschub des Systemzusammenbruchs. Auch wenn es faktisch so ist.

Weiter schreiben Sie:
„Ich erteile dieser „neuen Geldpolitik“ eine Absage, weil sie die ganze Logik bzw. Mechanik eines Kapitalmarktes aussetzt und durch kein selbsttragendes Konstrukt ersetzt. Geldschöpfung, die durch die privaten Banken wie bisher entsteht, erfolgt über die Vergabe von Krediten. Daraus entsteht eine Schuld, die auch bedient und getilgt werden muss. Schuldner, die diese Tilgung nicht leisten, tragen die bekannten Konsequenzen und werden zunehmend vom Kapitalmarkt ausgegrenzt. Darin liegt der disziplinierende Effekt der Geldschöpfung inkl. der Mechanik um die Kapitalkosten gemäß Bonität und Laufzeit festzusetzen.“

Zum einen betrachten Sie mit der privaten Geldschöpfung nur einen Teil der Realität. Die Geldschöpfung der Notenbanken gehört aber seit über 100 Jahren ebenfalls dazu. Sie ist keine Erfindung der neu entdeckten MMT. Dabei hat sich die Tendenz herausgebildet, dass in guten Zeiten die privaten Banken bei der Geldschöpfung mehr aufs Gas drücken und in schlechten Zeiten die Notenbanken, um eine Schrumpfung der Geldmenge in Krisen zu verhindern. Neu ist lediglich, das die Notenbanken nun auch in vermeintlich guten Zeiten aufs Gaspedal treten.

Zum anderen stellen Sie die private Geldschöpfung sehr idealtypisch dar. Ihren „disziplinierenden Effekt“ und die „Ausgrenzung“ schlechter Schuldner kann man sicherlich in Lehrbüchern nachlesen. An dieser Beschreibung ist auch etwas Wahres dran. Aber die Realität geht stets über solche Lehrbuchweisheiten hinaus. Wenn ein Geldsystem wie das unsere darauf angewiesen ist, dass Geldvermögens- und Schuldenmengen im Lauf der Jahrzehnte ständig wachsen, dann muss es – trotz aller disziplinierenden Effekte und Ausgrenzungen – im Lauf der Jahrzehnte auch eine wachsende Zahl an schlechteren Schuldnern geben. Die Zahl der guten Schuldner wächst nämlich nicht proportional zum nötigen Schuldenwachstum mit. Vor allem dann nicht, wenn es sich um reifere Volkswirtschaften handelt, die nicht mehr das Wirtschaftswachstum jüngerer Volkswirtschaften aufweisen.

Damit kommt es im Lauf der Jahrzehnte zu einer zunehmenden Diskrepanz zwischen Wirtschaftswachstum und notwendigem Schuldenwachstum. Das ist die Realität, die ich meine, die über das oben beschriebene Lehrbuchideal hinausgeht. Dann reichen Disziplinierungseffekt und Ausgrenzung schlechter Schuldner nicht mehr aus, um das System von innen zu reinigen. In diesem Stadium wird das System selbst ausgegrenzt. Es muss als Ganzes bereinigt werden.

Nach meiner Schätzung hat unser Geldsystem dieses Stadium in etwa erreicht. Und nun kommt es darauf an, ob Notenbanken und Regierungen diese Bereinigung zulassen oder nicht. Meine Antwort ist klar: Sie werden sie nicht zulassen, sondern sie aufschieben, solange sie es können.

Sie schreiben weiter:
„Eine Geldschöpfung der Notenbank folgt diesem Prinzip nicht, denn das neue Geld kauft Wertpapiere oder andere Assets vom Markt, ohne dass daraus eine Schuld entsteht.“

Grundsätzlich kann jede Geldschöpfung – auch die privater Banken – sowohl durch den Ankauf von Vermögenswerten als auch durch Kreditgewährung erfolgen. Die Geldschöpfung durch Kreditgewärung ist jedoch die vorherrschende Art. Auch die Anleihekäufe der Notenbanken sind eine schuldenbasierte Geldschöpfung. Denn Anleihen sind nichts anderes als verbriefte Kredite. Mit dem Anleihekauf entsteht die Schuld zwar nicht neu, weil sie schon vorhanden war, aber das Prinzip „Geld für Schulden“ bleibt erhalten. (Auch private Banken kaufen und verkaufen schließlich untereinander Kredite und Anleihen.) Im Endeffekt finanziert die Notenbank mit den Kaufprogrammen die Schuldner, die hinter den jeweiligen Anleihen stehen.

Ihren weiteren Ausführungen in Bezug auf die preisbeeinflussende Wirkung von Anleihekäufen stimme ich im Wesentlichen zu. Es ist klar, dass eine zusätzliche Nachfrage tendenziell zu steigenden Preisen beitragen sollte (ceteris paribus). Über das Ausmaß dieser Beeinflussung lässt sich sicherlich streiten. Aber an diesem Streit beteilige ich mich nicht, weil er nicht relevant ist für meine grundsätzliche Einschätzung, dass das System ohne diese Stützungsmaßnahmen zusammenbrechen würde bzw. bereinigt würde.

Im Weiteren unterscheiden Sie dann wieder zwischen „richtig“ und „falsch“. Eine Weichwährungspolitik sei falsch (Griechenland, Argentinien, Südeuropa), eine Hartwährungspolitik dagegen richtig. Ich enthalte mich dagegen jeglicher Wertung. Zumal eine Diskussion darüber in Bezug auf die künftige Notenbankpolitik nur dann weiterführt, wenn man unterstellt, dass das System auch ohne die Maßnahmen weiterbestehen könnte wie bisher.

Dies ist nach meiner Erkenntnis aber nicht der Fall. Das Finanzsystem geriete ohne die besagten Elemente wie Niedrigzinsen oder Aufblähen der Notenbankbilanzen schon jetzt ins Wanken. Genau dies scheinen Sie zu bezweifeln.

Wer von uns beiden recht hat, ließe sich am besten feststellen, wenn die Notenbanken – wie von Ihnen gefordert – alsbald mit ihrem „Unsinn“ aufhören und gegensteuern. Dann würden wir sehen, ob das System trotzdem überlebt. Aber leider wird es dazu nicht kommen. Denn die Notenbanken WERDEN nicht umsteuern. Die jüngste 180-Grad-Wende von Jerome Powell hat gerade erst gezeigt, dass selbst „uneinsichtige“ Notenbanker auf die Zwänge des Systems reagieren und zurückrudern. Wenn es hart auf hart käme, würde vermutlich selbst ein Herr Weidmann eines Besseren belehrt – obwohl ich für ihn meine Hand nicht unbedingt ins Feuer legen würde 😉

So wird das System also noch ein Weilchen weiterleben wie bisher. Ich werde sagen WEGEN der Maßnahmen, und Sie werden sagen TROTZ der Maßnahmen. Und sie werden vermutlich weiterhin die negativen Nebenwirkungen dieser Notenbankpolitik kritisieren‚ die diese unbestritten haben. Jener Teil des Publikums, der das System ansonsten für gesund und überlebensfähig hält, wie Sie das tun, wird Ihnen für diese Kritik applaudieren. Vermutlich ist das der überwiegende Teil Ihrer Leserschaft.

Ich vergleiche es dagegen eher mit einer Medizin: Auch viele Medikamente haben erhebliche negative Nebenwirkungen. Die Ärzte verordnen sie trotzdem.

Am Rande: Eine von Ihnen erwähnte „Weichwährungspolitik“ erfordert immer, dass es auf der anderen Seite Länder gibt, die eine „Hartwährungspolitik“ betreiben. Denn Wechselkurse sind immer nur ein Austauschverhältnis zwischen zwei Währungen. Ohne ein entsprechend hartes Pendant kann eine Währung – zumindest gegenüber dem Ausland – nicht weich werden. Wenn aber die führenden Industrieländer (Europa, USA, Japan) gleichzeitig in dem von mir beschriebenen Geldsystem-Dilemma stecken, werden die führenden Notenbanken in der Tendenz dieselbe Richtung einschlagen. Deshalb dürfte es in dieser Gruppe nicht zu einer echten Weichwährung kommen.

Was Sie im Weiteren über die Notenbankpolitik und die Anleihe- und Devisenmärkte schreiben, beschreibt lediglich das übliche „Katz-und-Maus-Spiel“, das es ständig zwischen Märkten und Notenbanken gibt. Für uns Journalisten ist das natürlich ein gefundenes Fressen, weil wir darüber berichten und es kommentieren können. Aber für den grundlegenden Trend des nächsten Jahrzehnts messe ich ihm keine größere Bedeutung bei. Die Zinsen werden weiter schwanken, das gehört dazu. Aber am Grundtrend hin zu niedrigeren Zinsen wird dies nichts ändern. Wie oft wurde in den vergangenen Jahren schon die „Zinswende“ ausgerufen (auch in den Bernecker-Briefen), nur weil es hin und wieder heftige Gegenreaktionen nach oben gab?

Im Endeffekt werden die Märkte weiterhin demselben Trend folgen wie die Notenbanken – bis zu einem Punkt, an dem es dann tatsächlich interessant werden wird: Wenn nämlich ab einem, noch weit in der Zukunft liegenden Tag X die Märkte nicht mehr positiv auf weitere Stützungmaßnahmen der Notenbanken reagieren, dürfte das ein Zeichen dafür sein, dass das Vertrauen in die Schlagkraft der Notenbanken schwindet. Und dann wird sich der Zusammenbruch nicht mehr aufhalten lassen. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Sie schreiben weiter:
„Die Notenbanken wissen dies alles und wollten deswegen auch die Programme auslaufen lassen. Für Regierungen und weite der Teile der Finanzdienstleistungsindustrie ist das natürlich problematisch. Sie haben sich an die neue Geldpolitik gewöhnt und sich nach 10 Jahren vollkommen darauf eingestellt. Deswegen versuchen sie diese Geldpolitik zu zementieren.“

Das ist Ihre Interpretation. Meine geht – wie oben dargelegt – in eine andere Richtung. Danach haben viele Notenbänker die tatsächliche Problematik nicht erfasst und meinen, es könne alles so weitergehen wie früher. Folglich müsse man die Programme nicht nur auslaufen lassen, sondern sogar wieder umkehren. Wie Powell damit auf die Nase gefallen ist, hat sich gezeigt. Dabei wurde er nicht von den andauernden Trump-Tiraden zur Umkehr gezwungen, sondern von den Finanzmärkten, auf deren regulierende Wirkung ja auch Sie viel Wert zu legen scheinen – in dieser Hinsicht m. E. zu recht. Ohne die Stützen der Notenbanken in Form sich weiter aufblähender Notenbankbilanzen kommt das Finanzsystem nicht mehr aus. Diese Erkenntnis scheint sich auch an den Finanzmärkten immer mehr durchzusetzen. Deshalb werden die Notenbankbilanzen im kommenden Jahrzehnt nach meiner Erwartung weiter kräftig aufgebläht.

Und zum Schluss schreiben Sie

„Gelingt das nicht, gibt es eine Anpassung von Asset-Preisen aller Art, weil die marktüblichen Kapitalkosten wieder einrechnet werden. Das gilt für Anleihen wie auch für Aktien. Das kann, muss aber nicht zu einem Crash führen. Die Angst dafür, darf aber nicht die entscheidende Größe sein. Um ihre Frage also zu beantworten. Wenn ein Crash, dann bitte morgen und nicht erst in 10 Jahren.“

Wenn Sie mit einem Crash lediglich ein Fallen der Vermögenswertpreise meinen, ist das nicht der „System-Zusammenbruch“, den ich meine. Assetpreis-Crashs hat es in den vergangenen Jahrzehnten schon mehrere gegeben, und solche wird es auch in Zukunft geben – spätestens im Zuge der nächsten großen Krise, die mit Sicherheit kommt. Solange aber die Notenbanken noch ausreichende Feuerkraft haben, werden sie auch diese Crashs wieder ausbügeln. Dieses Ausbügeln wird dazu führen, dass die Zinsen unter die zuletzt gesehenen Tiefs fallen und dass die Notenbankbilanzsummen über ihre vorangegangene Höchststände steigen.

Der Systemcrash, den ich meine und auf den wir langfristig zulaufen, muss eine tatsächliche Bereinigung der Geldvermögens- und Schuldenmengen beinhalten, also eine immense Vernichtung von Geldvermögen. Eine solche hat es in den vergangenen Krisen nicht gegeben. Im Gegenteil: Geldvermögens- und Schuldenmengen sind weiter kräftig gewachsen.

18 Kommentare

  1. Sehr interessant…

  2. Lieber Herr Brichta,
    ein sehr interessanter Dialog, vielen Dank dafür!

    Angeregt von Ihrem Satz „Ein Experiment, dass ich so noch nirgendwo gesehen habe – ähnlich wie ein Tennisspiel.“ möchte ich Sie gerne in meine XING-Gruppe einladen. Dort finden Sie eine ganze Reihe solcher „Experimente“, z.B. meinen Online-Dialog mit Ewald Kornmann von der Schweizer Vollgeld-Initiative, mit dem es bisher schon über 50 Mal hin und her ging zum Zusammenhang zwischen Geldsystem und Anlagerisiken. Das ist ja genau Ihr Thema.
    Das Besondere: Auch die Gruppen-Mitglieder können sich mit eigenen Fragen in den Dialog einklinken.
    Alle Menschen aus der Finanzbranche können der Gruppe beitreten. Ich würde mich daher freuen, Sie – oder auch den ein oder anderen Ihrer Leser – dort begrüßen zu dürfen. Hier der Link:
    https://l.facebook.com/l.php?u=https%3A%2F%2Fwww.xing.com%2Fcommunities%2Fgroups%2Fbesseres-geldsystem-75b5-1104469%2Fposts%3Ffbclid%3DIwAR2OsKbfGIKUpI1cAVO-0sca07inv6g9ENBU6an4p6paHnIhP-_8ZXUuAHw&h=AT24AZMofzFHgl4hv1CnQFnObq3m2lhVVRfYTsxm-usA0_LnXuFpfmLoSVxpBisXSq7mPqqwJZuHMgTMK6LsccBEVQVjDKvXm6AD1cZC2BfWYqlrE53w1r14aB5QXQ5yu4jVJQK8-4YM_A

    • Erledigt! „Beitrittsanfrage“ abgeschickt. Muss nun aber noch vom Moderator der Gruppe genehmigt werden 😉

      • Herzlich willkommen, Herr Brichta 😉

  3. Alles „gefällt“ mir sehr
    „… Wenn ein Geldsystem wie das unsere darauf angewiesen ist, dass Geldvermögens- und Schuldenmengen im Lauf der Jahrzehnte ständig wachsen, dann muss es – trotz aller disziplinierenden Effekte und Ausgrenzungen – im Lauf der Jahrzehnte auch eine wachsende Zahl an schlechteren Schuldnern geben. … Im Endeffekt finanziert die Notenbank mit den Kaufprogrammen die Schuldner, die hinter den jeweiligen Anleihen stehen. … So wird das System also noch ein Weilchen weiterleben wie bisher. Ich werde sagen WEGEN der Maßnahmen, und Sie werden sagen TROTZ der Maßnahmen. …“
    Noch klarer: Der heutige Neoliberalismus ist ein Keynesianismus für die Firmen. Wegen der Geldgeschenke an die Fiemen kollabiert nicht alles – noch nciht. Anstatt Konsum für das „Volk“ zu finanzieren, um den Nachfragemangel zu kompensiern, druckt man das Geld, um die Firmen zu retten. Kann man auch sagen: Nachfragemangel von der Angebotsseite zu kompensiren.
    Man fragt sich, wie lange es so gehen kann. Genau Herr Brichta, wegen der „schlechten“ Kredite. („Schlechte“, weil es Nachfragemangel gibt, udn es wird immer mehr solche „schlechte“ Firmen geben, bis ….) DE ist gegen den Keynesianismus (Geldflut) für die Firmen, weil man den Nachfragemangel duch Exporte kompensiert. Dumm oder verlogen? Wie lange kann aber das gehen?
    – – – – – – – – – – – – – – –
    Der Exportweltmeister und Michel … dumm gelaufen und was nun?
    – – – – – – – – – – – – – – –
    http://marktwirtschaft-neu-denken.de/Aufbau/ps/19×5/ps19x5.php?tbch=ps&auslese=yyF8&ordner=19×5

    • Eine Einschränkung zu Ihrem Zitat aus meinem Text: Bei Ihrer verkürzten Darstellung entsteht der Eindruck, dass die Notenbanken mit ihren Anleihekäufen, die problematischen Schuldner finanzieren. Dies gilt aber nur für Ausnahmefälle wie Steinhoff. In der Regel beschränken sich die Anleihekäufe auf die solventeren Schuldner.

      • „In der Regel beschränken sich die Anleihekäufe auf die solventeren Schuldner.“
        Eben nachgeschlagen: „Solvent ist ein Unternehmen oder eine Einzelperson, das oder die in der Lage ist, seine oder ihre gesamten Schulden zu bezahlen.“
        Wenn ich meine Schudlen bezahlen kann, wozu brauche ich das Geld? (Investitionen? Wir wissen dass die heutige Geldmenge in keinem Verhältnis zu realen Investition steht.)
        Bitte erklären.

        • Erstens, weil es ohne Schulden kein Geld mehr gäbe. Es müssen also zwangsläufig immer neue Schulden aufgenommen werden, damit stets genügend Geld in Umlauf ist, am das System am Laufen zu halten. Das ist die gesamtwirtschaftliche Sicht.

          Zweitens – und jetzt komme ich zur Einzelbetrachtung -, weil ich die Schulden nicht SOFORT bezahlen muss, sondern später. Einfaches Beispiel: Sie haben nicht das nötige Geld, um sich ein Haus zu kaufen, verfügen aber über regelmäßige Einkommen, um den Kaufpreis über die Jahre abzustottern (inklusive Zinsen). Dafür nehmen Sie einen Kredit auf. Solange Sie in der Lage sind, Ihre monatlichen Raten zu zahlen, gelten Sie als solvent.

          • „weil es ohne Schulden kein Geld mehr gäbe“
            Ohne Schulden gäbe es keine Kredite. Geld als Zahlungsmittel gab es immer, als es noch keine Kredite/Schulden gab. Aber alles unwichtig.
            Mich interessieren Grundlagen (Grundlagenforschung) und da stellt man fest:
            Wir leben in einer verrückten Zeit. Geld vermehrt sich wie nie in der Geschichte, aber (fast) keine realen Investitionen, keine Inflation.
            Ist die Zeit so verrückt, oder ist die herschende akademische Lehre (Neoliberalismus) ein dummes Zeug im echten Sinne des Wortes. tertium non datur

          • Wenn Sie wirklich an den Grundlagen interessiert sind, helfe ich Ihnen gerne weiter: In früheren Zeiten gab es tatsächlich Geld ohne Schulden, z.B. Goldmünzen. In unserem derzeitigen System – und nur davon rede ich – besteht Geld allerdings vollständig aus den Schulden anderer. Geld ohne Schuld gibt es also nicht. Wenn Sie genauer wissen wollen, wie Geld in die Welt kommt, empfehle ich Ihnen unser Buch „Die Wahrheit über Geld“. Da erkläre ich das genau.

            Und Sie schreiben selbst: „Geld vermehrt sich wie nie in der Geschichte“. Richtig. Das wäre nicht möglich, wenn Geld noch aus Gold oder aus anderen Sachwerten bestünde. Diese lassen sich nämlich nicht so stark vermehren. Schulden aber schon. Vielleicht geht Ihnen jetzt schon ein kleines Licht auf?

  4. Ich weiß, darüber, was das Geld „wirklich“ ist, gibt es heute unzählige Geschichten. Je mystischer, geheimnisvoller, dialektischer, … desto besser … Wie gesagt, lassen wir es.
    „Vielleicht geht Ihnen jetzt schon ein kleines Licht auf?“
    Leider konnte ich nicht herausfinden, wo Sie meine Fragen beantwortet haben
    – Da bekommt jemand einen Nobelpreis für die Quantitätstheorie, der ist ein Heiliger in der heutigen RegimeWiWi und siehe da: Keine Infaltion.
    – Wo sind die realen Investition (bitte nicht mit der Spitzfindigkeit: Geld dreht sich im Kreise wegen der Spekulationen.)
    _ _ _ _ _ _ _
    PS
    Der Chef der EZB geht und verlangt den Nobelpreis von Milton Friedman
    http://marktwirtschaft-neu-denken.de/Aufbau/ps/19w/ps19w.php?tbch=ps&auslese=yyF8&ordner=19w

    • Vergessen Sie‘s. Sie scheinen beratungsresistent zu sein. Ich habe Ihnen lediglich erklärt, das jedwedem Geld heutzutage eine Schuld gegenübersteht. Dies schienen Sie nicht zu wissen.

      Ihre weiteren Fragen werden im übrigen ausführlichst im erwähnten Buch beantwortet. 😂

  5. Hallo Raimund,

    „In unserem derzeitigen System – und nur davon rede ich – besteht Geld allerdings vollständig aus den Schulden anderer.“

    Wirklich ‚vollständig‘?
    Wie sieht es mit den von den Notenbanken bereitgestellten Liquidität in Form von Anleihen- oder Aktienkäufen (QE) aus? Nach meinen Verständnis kaufen die Notenbanken bestimmte Papiere auf, und der Verkäufer dieser Papiere erhält dafür Papiergeld. Insbesondere wenn die Notenbank Aktien kaufen würde (wie bspw in Japan) erwirbt sie ja de facto Sachwerte.

    Insofern würde die Geldmenge in unserem System aus den Kreditschulden (öffentliche Hand, Unternehmen, Privatleute) plus das Notenbankgeld bestehen? Ist dem so?

    • Da Geld in unserem System immer eine Schuld des ausgebenden Instituts ist, gilt sogar das „vollständig“. Auch Notenbankgeld ist auf der Passivseite der Notenbankbilanz nämlich eine Verbindlichkeit der Notenbank gegenüber dem Inhaber des Zentralbankgeldes. Natürlich lässt sich darüber streiten, worin denn die Verbindlichkeit der Notenbank tatsächlich besteht. Früher bestand sie vielleicht mal darin, dem Geldinhaber im Ernstfall dafür den Gegenwert in Gold zahlen zu müssen. Inzwischen besteht sie im Prinzip aber nur noch darin, dem Geldbesitzer im Zweifelsfalle eine (andere) Banknote zur Verfügung zu stellen.

      Aber trotzdem wird der Charakter der Verbindlichkeit dadurch deutlich, dass dem Notenbankgeld nach wie vor ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht werden muss, damit es als Zahlungs- und vor allem als Wertaufbewahrungsmittel akzeptiert wird. Schwindet das Vertrauen, verliert es am Wert. Dies würde zum Beispiel dann passieren, wenn dem Zentralbankgeld nicht mehr ausreichende Vermögenswerte als Sicherheiten gegenüberstünden.

      Das sind genau die Kriterien, die an die Werthaltigkeit von Schulden angelegt werden.

      Und was die Anleihekäufe anbelangt: Hier ist der Schuldcharakter des Geldes sogar vollständig gegeben. Denn hier ist der Vermögenswert, mit dem das Geld unterlegt ist, eine Anleiheforderung, also die Schuld eines anderen. Bei Aktien-, Immobilien- oder Edelmetallkäufen ist dies nicht der Fall. Aber auch hier gilt, dass das Geld eine Verbindlichkeit der Notenbank ist.

  6. Hallo Herr Brichta,

    seit gut 14 Tagen sehen wir, dass die Renditen am langen Zinsende steigen. sowohl im Euro als auch im Dollar. Darin spiegelt sich die anfängliche Skepsis des Marktes bzgl. der Fortsetzung der lockeren Geldpolitik und natürlich auch die Erwartung einer Stabilisierung der konjunkturellen Dynamik inkl. Zoll Streits, Brexit etc. wider. Der offene Streit innerhalb der EZB samt Forderungen verschiedener Ratsmitglieder künftig Entscheidungen per Mehrheitsbeschluss herbeizuführen, hat am Markt die Erwartung geweckt, dass a) die QE-Programme nicht endlos weiterlaufen und b) eine enge Auslegung des EZB-Mandats Vorrang hat. Ähnliche Einschränkungen hörte man auch von Powell in den USA. Das hat zur Folge:

    Je stärker die langlaufenden Renditen nun steigen, desto wirkungsloser wird die Zinspolitik der niedrigen Zinsen. Das lange Zinsende gibt immer den Trend vor. Je steiler nun die Zinskurve wird, desto stärker erhöht sich der Druck auf die Notenbanken hier am kurzen Ende nachzuziehen. An diesem Punkt werden wir im Frühjahr 2020 wohl ankommen, wenn die Renditen-Knetmasse auf dem Niveau von 2017 notieren. Steigt in der Zwischenzeit die Inflation, wie diese Woche in den USA gesehen, beschleunigt sich der Prozess.  Die Mechanik des Marktes funktioniert wieder und in allen Notenbanken gibt es Vertreter, die dies auch begrüßen. Nun stellt sich die Frage:

    Reichen 20 Mrd. Euro pro Monat aus, um den Rendite-Anstieg aller Euro-Staatsanleihen zu bremsen oder sogar zu drehen? Mit Sicherheit nicht. Dazu müsste vielleicht eine neue Ausnahmesituation wie bei Lehmann eintreten. Das bezweifle ich. Im Gegenteil:

    Selbst die  umstrittenen Target-Salden sind letzte Woche deutlich um 48 Mrd. Euro gefallen. Zum ersten Mal legen deutsche Banken ihre Überschussliquidität wieder bei italienischen Banken an, um die neg. Zinsen bei der EZB zu vermeiden. Damit kommt der Interbanken-Handel, der nach der Finanzkrise zusammenbrach und den die EZB de facto ersetzt, wieder in Gang. Das ist bemerkenswert und zeigt ebenfalls wieder eine Normalisierung. Ich rechne damit, dass sich dieser Trend fortsetzt. Kurzum:

    Die Märkte beantworten schon die Fragen, die wir noch  diskutieren und stellen dabei wieder ein Gleichgewicht her, das verloren gegangen war. Die Effekte werden sich sowohl in der Dynamik der Volkswirtschaften, der Unternehmen und vor allem der Banken bemerkbar machen. Daher kommt es zu einer Verschiebungen des Kräfteverhältnisses von den Notenbanken und Politik hin zum Anleihemarkt. Ich gehe auf dieses Thema in der letzten und gestrigen  Ausgabe ein. Es bietet sehr viel positive Perspektive und stabilisiert das Finanzsystem.

    • Lieber Herr Bernecker,
      ich sehe Ihre Ausführungen hauptsächlich im Zusammenhang damit, dass Sie einen wöchentlichen Börsendienst schreiben und deshalb Marktbewegungen mit spannenden Storys unterlegen müssen.

      Ja, die Renditen steigen und sie könnten weiter zulegen. Auch wenn das noch lange keine ausgemachte Sache ist. Charttechnisch zum Beispiel sieht die jüngste Erholung der 10-jährigen US-Rendite eher wie eine trendbestätigende Zwischenerholung aus. Eine solche würde es nahe legen, dass die Tiefststände vom September erneut getestet werden.

      Dieser Chart verdeutlicht dies (zum Vergrößern anklicken / Quelle: Wellenreiter-Invest, 25.11.2019):

    • Aber Charts sind nicht alles. Warten wir also ab.

      Bis jetzt ist das Ganze auf jeden Fall nicht mehr als eine normale Gegenbewegung auf den vorangegangenen Renditeverfall. Auch über diese Gegenbewegung hinaus gilt: Kurse und Renditen schwanken nun mal. Warum sollte also nach einem längeren Rendite-Rückgang (seit Herbst 2018) nicht einfach ein längerer Rendite-Anstieg bevorstehen? Ähnlich wie zwischen Mitte 2016 und Ende 2018. Der ging über mehr als 2 Jahre, bis die 10jährige US-Rendite vor einem Jahr bei 3% toppte. Ähnliches erleben wir also ständig, und deshalb wäre es nichts Besonderes.

      Normal ist auch, dass solche Bewegungen mit den passenden Storys unterfüttert werden – man braucht ja schließlich Argumente, um in die eine oder andere Richtung zu handeln. Für Trader und Börsenbriefleser mag das auch durchaus interessant sein. Mir geht es aber um das große Bild. Und das zeigt: Eine fundamentale Zinswende mit einem nachhaltigen Zinsanstieg – über die in den vergangenen Jahren gesehenen Schwankungen und Zeiträume hinaus – ist nicht möglich, solange das System nicht bereinigt ist (siehe mein Statement oben).

      Damit sind wir wieder beim eigentlichen Kern der Diskussion: Powell, Draghi, Lagarde, Weidmann und Co mögen sich zwar für ihre jeweiligen Augenblicke als Schlagzeilengeber eignen, an den wirklich langfristigen Entwicklungen können diese Herrschaften allerdings auch nichts ändern.

      Sie, lieber Herr Bernecker, begehen diesmal zwar nicht einen Fehler aus der Vergangenheit und rufen wieder eine „Zinswende“ aus (soweit ich mich erinnere, hatten die Bernecker-Briefe eine solche 2015 propagiert). Aber Ihre Zeilen lassen zumindest den Schluss zu, dass Sie nun etwas ähnliches wie eine Zinswende erwarten, auch wenn Sie es noch nicht so nennen. Ein „Zinswendchen“ wie 2016 schließe auch ich nicht aus, da wären wir uns einig. Mehr ist aber auch diesmal nicht drin.

      Zum Schluss noch ein Wort zu den von Ihnen erwähnten Target-Salden. Für Laien: Das sind zinslose Ãœberziehungskredite, die zum Beispiel die Deutsche Bundesbank anderen Notenbanken gibt, die ebenfalls dem EZB-System angehören. Im Fokus stehen dabei besonders die Kredite der Bundesbank an die italienischen Notenbank. Sie waren dieses Jahr kräftig gestiegen, zuletzt aber – wie Sie erwähnen – wieder etwas zurückgegangen. Daraus jedoch bereits eine „Normalisierung“ abzuleiten, halte ich für verfrüht.

      Einen wesentlichen Grund für den Rückgang hatte nämlich die EZB selbst geliefert: Sie hatte zuletzt die Freibeträge erhöht, innerhalb derer die Geschäftsbanken keine Strafzinsen für Einlagen bei der EZB zahlen müssen. Und da z.B. italienische Geschäftsbanken diese Freibeträge bei weitem nicht ausschöpften, war es für deutsche Banken plötzlich attraktiv, Einlagen nach Italien zu verlagern. Damit konnten Strafzinsen umgangen werden. Es handelt sich also hauptsächlich um einen Sondereffekt, der noch nicht mit einer Normalisierung gleichgesetzt werden sollte. Würde sich die Lage in der italienischen Bankenbranche wieder verschärfen, dürfte sich auch dieser Effekt wieder umkehren.

  7. Herr Brichta, Sie wissen es, wir wissen es, dass die Qualitätsjournalisten und Qualitätsmedien in DE keine Gnade gegen die Andersdenkenden kennen … Also ich erwarte nicht, dass sie mein Kommentar zulassen. Wenn man aber nicht mit jemanden diskutieren kann, dann muss man über ihn diskutieren

    Seifenblasenshow im neoliberalen Tollhaus: Brichta gegen Bernecker (IV)
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    „Der schreckliche Draghi ist nun weg, die EU-Notenbank will aber ihre Praxis der „geöffneten Geldschleusen“ fortsetzen. Jetzt kommen wir wieder zu Brichta, der behauptet, etwas anderes würde man gar nicht tun dürfen. Und er hat Recht damit. Er kann natürlich nicht erklären, warum dem so ist. „Ich rede betont nicht von ,richtig‘ oder ,falsch‘ … Ich ,befürworte‘ nicht und ,plädiere‘ nicht für etwas“ – so Brichta selbst, fast stolz darüber. Ja, wenn man das dumme Zeug genannt neoliberale Wirtschaftslehre studiert hat, was sowohl für Brichta als auch für Bernecker gilt, hat man nur zwei Möglichkeiten: Wie Bernecker welche realitätsferne Idiotien nachzuplappern, oder wenn man nur ein bisschen die Realität berücksichtigt, kann man vor dem Hintergrund dieser Lehre nichts Sinnvolles sagen – in diesem Sinne ist Brichta ehrlich. Macht nichts! In der Fortsetzung unseres kleinen Beispiels über den realen Nachfragemangel greifen wir Brichta unter die Arme. …“
    http://marktwirtschaft-neu-denken.de/Aufbau/ps/19v4/ps19v4.php?tbch=ps&auslese=yyF8&ordner=19v4

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